Druck im Kessel

Kein CO2-Ausstoß mehr in der Stahlproduktion und in der Stahllogistik: Dieses Ziel ist in den Köpfen der Akteure verankert. Das wurde deutlich auf dem Netzwerkforum Stahl, bei dem mit Mona Neubaur, Vorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen in NRW, erstmals die Chefin einer Partei aus Nordrhein-Westfalen (NRW) zu Gast war. Weltweite Überkapazitäten Doch die Dekarbonisierung kostet Geld. Daher war die wirtschaftliche Lage in der Stahlindustrie auf dem vom Verband der Verkehrswirtschaft und Logistik Nordrhein-Westfalen (VVWL) in Kooperation mit dem Kompetenznetzwerk Logistik. NRW organisierten Forum ein wichtiges Thema. Martin Theuringer, Geschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Stahl, brachte, was die aktuelle Entwicklung in der Stahlindustrie betrifft, zwar positive Zahlen zu dem virtuellen Branchentreff mit, er warnte aber auch vor zu viel Euphorie: "Viele Kundenbranchen der Stahlindustrie produzieren weiter auf niedrigem Level", sagte Theuringer und nannte als Beispiele die Autoindustrie oder den Maschinenbau. Sorge bereitet Theuringer vor allem die Überkapazitäten im weltweiten Markt (siehe Kasten Seite 34), weshalb er sich dafür aussprach, die EU-Schutzklauselverfahren auf jeden Fall beizubehalten. Wieder bessere Zahlen konnte auch Gerrit Riemer, Leiter Governmental and Corporate Affairs Communications bei Thyssenkrupp Steel Europe (TKSE), vermelden. Im vergangenen Geschäftsjahr hat sein Unternehmen noch einen Verlust von 820 Millionen Euro erwirtschaftet, "das lag zum großen Teil an Corona", so Riemer. Aber im ersten Quartal 2020/21 hat der größte Stahlhersteller Deutschlands wieder ein positives Ebit von 20 Millionen Euro erwirtschaftet. "Die Frage ist jedoch, wie nachhaltig diese Entwicklung ist", drückte Riemer auf die Euphoriebremse. Dennoch brachte er eine weitere, positive Nachricht mit: "Der Konzern hat entschieden, in den nächsten Jahren 800 Millionen Euro in die Stahlproduktion zu investieren", sagte der TKSE-Manager und lieferte die Interpretation gleich mit: "Das sehen wir als eine Investition in die Zukunft und als klares Bekenntnis zum Standort Duisburg." Sehr hohe Nachfrage bei Salzgitter Auch bei der Salzgitter AG ist das Jahr 2021 gut angelaufen. Laut Jürgen Harland, Leitung Logistik und SCM Salzgitter Flachstahl, zieht das Geschäft deutlich an. "Die Nachfrage ist sehr hoch, das spüren wir auch in der Logistik, und zwar in der Beschaffung und im Werk wie auch in der Distribution", sagte Harland und ergänzte: "Wir können gar nicht so viel liefern, wie im Augenblick nachgefragt wird." Die gute Nachfrage erklärte er damit, dass in der Krise alle ihre Bestände heruntergefahren hätten und jetzt ihre Lager wieder auffüllen würden. Beim Lkw und vor allem beim Binnenschiff gäbe es Engpässe. Bei der Schiene hingegen erlebe er diesen Mangel nicht, dort funktioniere es sehr gut. Angesichts der Klimaziele, die die Politik aufgestellt hat, steht die Stahlindustrie womöglich vor einer ihrer größten Herausforderungen. Dabei ist der Weg klar: Es geht nur über den Wasserstoff. Theuringer stellte den Plan für die Stahlindustrie in Deutschland vor: Zwischen 1990 und 2020 ist eine Reduktion der CO2-Emissionen von 20 Prozent erreicht worden. In den darauffolgenden zehn Jahren sollen es weitere 30 Prozent weniger sein. Die restlichen 50 Prozent CO2-Emissionen will die Branche bis 2050 einsparen. "Wir bekennen uns zu den Klimazielen. Wir wissen, wenn wir jetzt nicht einsteigen in diesen Weg, dann wird es im Jahr 2030 oder 2050 keine europäische Stahlindustrie mehr geben", sagte der ThyssenKrupp-Manager Riemer. Aber der Umstieg wird teuer. "Die Umstellung der Primärstahlproduktion vollständig auf wasserstoffbasierte Verfahren verursacht bis 2050 Investitionskosten in einer Größenordnung von 30 Milliarden Euro", sagte Theuringer. Hinzu kommen weitere Kosten in noch unbekannter Höhe, weil die Produktion von Stahl mit Wasserstoff deutlich teurer sein wird als mit Kohle. Eine Belastung, die die Branche nach Ansicht aller drei Vertreter der Stahlindustrie nicht allein stemmen kann, weshalb staatliche Fördergelder unumgänglich seien. Und wie sieht es in der Stahllogistik aus? Stefan Windgätter, Vorsitzender Fachausschuss Stahltransporte und -logistik im VVWL, betonte die Bereitschaft seiner Branche zur Dekarbonisierung: "Aber im Gegensatz zur Stahlindustrie ist bei uns vor allem im Schwerlastbereich noch nicht geklärt, wie der Weg zum CO2-freien Transport aussehen soll. Da sind wir noch im Versuchsstadium", sagte der geschäftsführende Gesellschafter der Spedition Windgätter & Sohn und spielte damit auf die verschiedenen Antriebstechnologien an. Windgätter übte Kritik an der CO2-Steuer, die seit Jahresbeginn über den Kauf von Treibstoff zu zahlen ist. Während die Wettbewerber aus dem Ausland das Tanken in Deutschland vermeiden und somit günstiger anbieten könnten, müssten deutsche Betriebe die CO2-Steuer zahlen. "Uns fehlt dann aber das Geld, um in umweltfreundliche Technologien zu investieren", sagte Windgätter. CO2-basierte Lkw-Maut als Lösung? Neubaur zeigte sich beeindruckt von den Bemühungen der Stahlindustrie und übte Kritik an den Regierungsverantwortlichen. "Ich habe an vielen Stellen den Eindruck, dass Gesellschaft und Wirtschaft weiter sind als die amtierenden Regierungen." Das wäre ein Grundproblem für das Vertrauen, das in demokratischen Institutionen bestehe. Neubaur plädierte für einen Transformationsfonds als einen verlässlichen Rahmen. Der sei nicht an vier Jahre Legislatur geknüpft, sondern stehe für Transformationsaufgaben langfristig zur Verfügung. Zudem schlug Neubaur einen monetären Ausgleich für die Unternehmen vor, die vorangehen bei der Dekarbonisierung und denen deshalb höhere Kosten entstünden. Die Vorsitzende der Grünen in NRW machte deutlich, dass sie weiterhin an der CO2-Steuer festhalten möchte, "da sie eine große Akzeptanz gefunden hat", und nannte die große Koalition, die in einer breiten Mehrheit für dieses Instrument gestimmt habe. Sie zeigte Verständnis dafür, dass mit der CO2-Steuer deutsche Transportunternehmen einen Wettbewerbsnachteil hätten. Sie brachte die Reformation der Lkw-Maut ins Spiel, bei der auch der CO2-Ausstoß stärker berücksichtigt werden soll. "Vielleicht gibt es über diesen Weg auf europäischer Ebene die Möglichkeit, eine Wettbewerbsgleichheit herzustellen", sagte Neubaur. Auch wenn sie sich bei der CO2-Steuer nicht kompromissbereit zeigte, machte sie den Logistikern Hoffnung mit ihrer Selbsteinschätzung: "Die Grünen sind bei der Organisation des Lastenausgleichs pragmatischer geworden. Wir wollen diesen Wandel gestalten. Dafür ist es wichtig, viele Menschen mitzunehmen und Menschen nicht zu überlasten", sagte Neubaur. Mehr zum Thema finden Sie unter #Stahllogistik www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Eines wurde auf dem Netzwerkforum Stahl deutlich: Zur CO2-freien Produktion gibt es keine Alternative. Aber der Weg dorthin wird unterschiedlich beurteilt. Die Transportdienstleister zeigen sich mit der CO2-Steuer nicht einverstanden. Stahlkonjunktur: Aufschwung, aber noch keine Entwarnung Lange Jahre galt die deutsche Stahlindustrie als ein Sorgenkind, dem der internationale Wettbewerb kräftig zusetzte. Zwischen 2010 und 2018 stagnierte das Produktionsvolumen und pendelte zwischen 42 Millionen (Mio.) Tonnen und 44,3 Mio. Tonnen Rohstahl pro Jahr. 2019 dann der erste empfindliche Dämpfer: Mit 39,6 Mio. Tonnen verließen sieben Prozent weniger Rohstahl im Vergleich zum Vorjahr die deutschen Werke. 2020 folgte die Corona-Krise und mit ihr betrug das Minus nochmals satte zehn Prozent (35,7 Mio. Tonnen). Deutlich höhere Nachfrage nach Stahl Doch seit Jahresbeginn steigt die Nachfrage - der dritten Corona-Welle zum Trotz. Im ersten Quartal 2021 lag das Produktionsvolumen um drei Prozent höher im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Daher rechnet die Wirtschaftsvereinigung Stahl für 2021 mit einer Rohstahlmenge von 40,7 Mio. Tonnen.Auch in Europa zieht die Stahlkonjunktur an: 2021 wird mit einer zehn Prozent höheren Absatzmenge gerechnet und im nächsten Jahr sollen weitere fünf Prozent dazukommen. Martin Theuringer, Geschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Stahl, kann zwar eine Wende erkennen, sieht aber keinen Anlass für Euphorie, ganz im Gegenteil."Die weltweit bestehenden strukturellen Probleme im Stahl-Außenhandel bestehen nach wie vor", sagte er auf dem Netzwerkforum Stahl. So übersteigen die weltweiten Produktionskapazitäten die Nachfrage weiterhin deutlich um 771 Mio. Tonnen. Hinzu kommen die US-Stahlzölle, eingeführt von Donald Trump. "Aber auch unter der Biden-Administration ist nicht mit einem kurzfristigen Kurswechsel zu rechnen", sagte Theuringer. Die Folge: Die USA importieren immer weniger Stahl. Waren es 2017 noch 35,3 Mio. Tonnen, sind es 2020 nur noch 20,1 Mio. Tonnen gewesen. cd

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