Beispielloser Einbruch

Erst produzierte die Branche mit dem Diesel-Gate negative Schlagzeilen. Parallel dazu sorgte der Umstieg von Diesel- auf Elektro-Antrieb für Unruhe in der Autoindustrie. Und dann kühlte sich ab der zweiten Jahreshälfte 2019 die Konjunktur merklich ab. Immer weniger Pkw wurden verkauft. Der Handelsstreit zwischen USA und China passte da wie die Faust aufs Auge und sorgte für schlechte (Konsum-) Stimmung. Unrühmlicher Spitzenplatz Und jetzt auch noch die Corona-Krise. Die hat die Automobilindustrie vehement erfasst. Als sich das Virus in Europa ausbreitete, schlossen Ende März der Reihe nach die Tore der Fabriken. Weniger deshalb, weil Hersteller Angst hatten, dass sich ihre Mitarbeiter infizieren. Vielmehr war der Grund, dass die Autohäuser dichtmachen mussten und dadurch der Verkauf von Pkw mehr oder minder zum Erliegen kam. Die Auswirkungen waren fatal. Der europäische Automobilverband (ACEA) hat die Verluste in der Produktion berechnet. Das Autoland Deutschland steht hier an der Spitze. Über 600.000 Fahrzeuge sind aufgrund der Folgen des Coronavirus hierzulande nicht gefertigt worden (Stand: 1. Juni 2020). Aber auch in anderen Staaten ist die Produktion heruntergefahren worden. Neben Deutschland sind vor allem Spanien, Frankreich und auch Großbritannien (siehe Grafik Seite 27) betroffen. In Summe, so der ACEA, haben aufgrund von Corona in der EU 2,446 Millionen Fahrzeuge weniger die Fertigungshallen verlassen. Für den deutschen Markt liegen Zahlen zu den Pkw-Neuzulassungen im ersten Halbjahr 2020 vor: Demnach kamen mit 1,21 Millionen 35 Prozent weniger Pkw als im Vorjahreshalbjahr auf den Markt: so wenige in einem Halbjahr wie noch nie seit der Wiedervereinigung vor 30 Jahren. Noch stärker ging die Produktion zurück: Von Januar bis Juni wurden in Deutschland 40 Prozent weniger Fahrzeuge hergestellt als im Vorjahreszeitraum. Minus von 23 Prozent in Deutschland Mittlerweile haben die Autohäuser wieder geöffnet. Die Autoindustrie hat in den meisten Werken ihre Produktion wieder aufgenommen, aber nicht annähernd in dem Umfang wie vor der Krise. Das hat auch logistische Gründe. Zunächst mussten die alten Lieferketten wieder geknüpft werden. Die Zulieferer wollten natürlich auch nicht ihre Produktion anwerfen, wenn seitens der Automobilhersteller nicht ein klares Signal kommt, dass auch in ihren Werken die Bänder wieder laufen und damit die Vorprodukte abgenommen werden. Doch die Verluste aus den ersten Monaten der Corona-Krise, die können in diesem Jahr nicht mehr aufgeholt werden - nicht annähernd. "Der Einbruch der Märkte ist in seinem Ausmaß und globalen Umfang beispiellos", sagt Hildegard Müller, Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA). Für 2020 rechnet der Verband mit einem Rückgang des Pkw-Weltmarkts um 17 Prozent auf 65,9 Millionen Einheiten. Besonders stark betroffen ist Europa mit einem Minus von 24 Prozent. Für Deutschland geht der VDA von 2,8 Millionen Pkw-Neuzulassungen im Gesamtjahr aus (-23 Prozent). Nicht ganz so schlecht wird die Lage in den USA mit Verlusten von 18 Prozent und in China mit minus zehn Prozent eingeschätzt. Wenn die Automobilhersteller die Werke schließen, sind davon auch die Logistikdienstleister betroffen. "Wir werden in diesem Jahr wohl vier bis fünf Monate umsonst gearbeitet haben", sagt Jörg Mosolf, Vorsitzender des Vorstands des Automobillogistikers Mosolf. Aus nachvollziehbaren Gründen will er sich nicht detailliert zu den finanziellen Auswirkungen äußern. "Wahrscheinlich läuft es in diesem Jahr auf eine Halbierung der Umsatzrendite hinaus", verrät der Unternehmenschef dann doch. Der April sei sehr schlecht verlaufen. Zwar wären aus Übersee noch Fahrzeuge gekommen. "Aber in den Seehäfen gab es keinen Platz zum Abstellen. Dafür mussten Lösungen gefunden werden", weist er auf ein Problem hin. Ein anderes: Mosolf ist auch Ein- und Aussteuerungsstation für die Autovermieter, vor allem an den Flughäfen. "Das Geschäft ist von heute auf morgen weggebrochen", sagt Mosolf. Der Mai sei dann mittelprächtig verlaufen und im Juni ginge es wieder aufwärts. "Wir hatten teilweise bis zu 70 Prozent weniger Auslastung. Erschwerend kommt hinzu, dass dann die Abladestellen nicht mehr stimmen und die Leerkilometer zunehmen", schildert er die Folgen der Nachfrageausfälle. Aber er lobt seine Mitarbeiter, die geholfen hätten, die schwierige Zeit zu überstehen. "Wir haben zum Glück kein Liquiditätsproblem", sagt Mosolf. Ähnliche Aussagen kommen von Johannes Hödlmayr, bis zum 1. Juli Vorstandsvorsitzender des Fahrzeuglogistikers Hödlmayr und jetzt Vorsitzender des Aufsichtsrates im Unternehmen. "Zu Beginn der Corona-Krise, als die Werke der Reihe nach geschlossen haben, mussten wir 1700 unserer 2000 Mitarbeiter nach Hause schicken", sagt Hödlmayr. Als "flexibler Mittelständler" sei es darum gegangen, die Kosten anzupassen. Jetzt, wo die Nachfrage wieder anziehe, seien die Kapazitäten zu 90 Prozent ausgelastet. Wobei er nicht sagen möchte, wie viele Mitarbeiter und Lkw der ursprünglich 830 Fahrzeuge umfassenden Flotte wieder im Einsatz sind. Doch auch wenn die Hersteller wieder produzieren: Noch sei man weit vom Vorkrisenniveau entfernt und werde dies auch nicht so schnell wieder erreichen. So würden derzeit nur die wenigsten Autowerke im Zwei- oder Dreischichtbetrieb arbeiten. Jetzt sei das Führungspersonal gefordert, um die Mitarbeiter zu motivieren und um gut aus der Krise herauszukommen. Hödlmayr selber ist überzeugt, dass sein Unternehmen dazugehören wird. "Die Corona-Krise wird Spuren hinterlassen", sagt Hödlmayr. Bei Schlüsselprodukten würden die Autohersteller künftig genau überlegen, ob eine globale Beschaffung notwendig ist oder ob nicht ein regionales Sourcing sinnvoll sein kann. Auch Mosolf sieht Veränderungen auf die Branche zukommen. Das Single-Sourcing werde zunehmend hinterfragt, so seine Einschätzung. "Das wird nicht das Ende der Globalisierung bedeuten oder zu wesentlichen Einschränkungen führen", sagt er. Aber: Die Lieferketten müssten stabiler und robuster sein, damit sie nicht wie in der Corona-Krise zusammenfallen, so seine Vorhersage. Mehr zum Thema unter #Automobillogistik www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Die Pkw-Neuzulassungen sollen in Europa 2020 um 24 Prozent sinken. Für die Automobillogistiker bedeutet das weniger Aufträge. Doch nicht nur das: Auch Veränderungen in den Prozessketten könnten die Folge der Corona-Krise sein.

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