Andreas Scheuer: Offen für neue Technologien

Welche Antriebsart favorisiert Ihre Partei im Straßengüterverkehr? Andreas Scheuer: Die EU-Kommission hat meinen technologieoffenen Ansatz mit dem Paket "Fit for 55" bestätigt. Aus guten Gründen, denn eine Strategie, die nur auf Elektromobilität aufbaut, wird in Europa keinen Erfolg haben. Gerade im Straßengüterverkehr müssen wir nicht nur technologieoffen denken, sondern auch verkehrsträgerübergreifend. Wir müssen die Schnittstellen zwischen den einzelnen Verkehrsmitteln verbessern. Nur so geht Klimaschutz und nur so erreichen wir unsere Klimaziele. Wir müssen alles, was an Technologie vorhanden ist, nutzen. Rund 90 Prozent der CO2-Emissionen im Verkehrssektor entstehen im Straßenverkehr, davon rund ein Drittel im Straßengüterverkehr. Deshalb werden wir bei den Lkw ansetzen. Und das geht nicht nur mit der puren E-Mobilität, sondern auch mit Wasserstoff und natürlich mit erneuerbaren, strombasierten Kraftstoffen. Was Intelligenz, Sicherheit oder eben auch Kraftstoffe in Fahrzeugen betrifft, brauchen wir jetzt schnellstens den Markthochlauf. Die Branche ist ja sehr interessiert daran, dass alltagstaugliche Fahrzeuge auf den Markt kommen. Sie sprechen den Hochlauf an. Faktisch dauert es noch drei bis sechs Jahre, bis echte Alterativen kaufbar sind. Andreas Scheuer: Wir haben die notwendigen Rahmenbedingungen geschaffen. Aber wir bauen keine Autos. Schauen wir uns mal ein vom BMVI gefördertes Projekt an: Das BMVI hat zum Beispiel eine Firma bei der Entwicklung einer Brennstoffzelle mit 500.000 Euro unterstützt. Vor Kurzem stand ich mit einem fertigen Fahrzeug der BSR (Berliner Stadtreinigung, Anm. d. Red.) und dieser Firma vor dem Brandenburger Tor - es war ein Basisfahrzeug, geliefert ohne Antriebsstrang. Die Firma hat den Müllsammelaufbau realisiert und die Brennstoffzelle zum Antrieb. Das Auto lässt sich jetzt ganz normal an der vorhandenen Wasserstofftankstelle betanken, also keine Sonderlösungen. Wir fördern das Projekt mit insgesamt 23,7 Millionen Euro und wir sprechen im Endausbau von 170 Lkw. Ich habe mit den Fahrern und den Geschäftsführern gesprochen. Die gaben zu, anfangs sehr pessimistisch gewesen zu sein. Dafür sind sie jetzt umso begeisterter. Das Lauteste am Fahrzeug ist der Müll in der Tonne. Die Reichweite beträgt rund 150 Kilometer, eine Fuhre hat 70 Kilometer, also alles gut. Das sind wichtige Entwicklungsschritte. Wenn ich jetzt in der Stadt vielleicht noch Restriktionen habe, sodass ich nur noch mit gewissen Antrieben einfahren kann, oder die Zeiten attraktiver gestalte, zu denen ich mit E-Fahrzeugen liefern kann, dann wird daraus ein regulatorisches Gesamtwerk. Aber Sie haben vollkommen Recht, ich brauche für den Alltag die entsprechenden Fahrzeuge. Wir fördern den Umstieg von alten Euro-Normen auf die aktuelle Euro-6-Norm. Und wir fördern die alternativen Antriebe, also genau die Fahrzeuge, welche die nächste Generation ausmachen. Aber ja, ich bin genauso ungeduldig wie das Gewerbe! Haben Sie das Gefühl, dass Brüssel Realität und Wünsche unter einen Hut bringt? Andreas Scheuer: Die technische Machbarkeit wird am Ende entscheiden. Sie werden erleben, dass im Programm "Fit for 55" nicht nur die Juristen das Sagen haben, sondern auch die Techniker zu Rate gezogen werden. Das heißt, wir wollen alle dasselbe - das Ziel ist klar. Das deutsche Gewerbe hat immens investiert, deshalb auch die Unterstützung für eine CO2-basierte Lkw-Maut. Aber in den kommenden eineinhalb Jahren, in denen wir das neue Programm diskutieren, werden wir auch die Wettbewerbsfragen stellen müssen. Es kann ja nicht sein, dass osteuropäische Logistiker andere Normen zu erfüllen haben als mitteleuropäische Logistiker. Das zweite Thema ist die Technik - was kann man denn überhaupt in den Markt bringen? Fordern und Festlegen ist das Eine, Erfüllen und Umsetzen das Andere. Wenn wir das Thema CO2-basierte Maut aufnehmen und zudem das Thema CO2-Bepreisung im Rahmen des Emissionshandels, hat das Gewerbe Angst, dass es zu einer Doppelbesteuerung kommt. Ist die Angst berechtigt? Andreas Scheuer: Bislang konnte ich alle roten Linien für Deutschland halten, auch in einem guten Dialog mit dem Gewerbe, mit den Logistikern. Da bringe ich mich massiv ein, denn es darf nicht sein, dass wir nationale oder europäische Insellösungen haben. Es geht ja nicht nur um die Achse, die just-in-time oder just-in-sequence beim Automobilhersteller ankommen soll. Es geht ja auch um den Joghurtbecher. Und eine Doppelbelastung käme ja auch im Regal und beim Verbraucher an. Da haben wir eine riesige Verantwortung. Ist denn dem Bürger klar, dass Logistik vor dem Hintergrund der CO2-Neutralität teurer wird? Andreas Scheuer: Ich glaube, ja, aber wir müssen es noch besser erklären. Ich drehe es mal um: Wenn wir im Status quo verharren, habe wir auch ohne Klimaziele ein Problem. Denn Stehenbleiben führt nie zu Fortschritt und Innovation. Wir haben Bereiche - wie die Schifffahrt in Nord- und Ostsee -, wo wir durch einen planungssicheren Rahmen erreicht haben, dass Technologie entwickelt wurde, die jetzt international ausgerollt wird. Da müssen wir ansetzen - gemeinsam mit der Logistikbranche, die leider zu wenig wertgeschätzt wird. Deshalb haben wir im Endeffekt auch unser Nachwuchsproblem. Denn wenn ich jeden Tag darüber diskutiere, dass man von den Brummis gestört wird, dass der Verkehr zu viel ist, dann will natürlich niemand in der Logistikbranche arbeiten. Sie haben auch die rote Linie gehalten, als die EU die deutsche Mautbefreiung für Erdgas-Lkw kippen wollte. Wie geht es weiter mit dem Thema - auch nach dem 1. Januar 2024? Andreas Scheuer: Über die Fortführung wird gerade in der Bundesregierung abgestimmt. Es ist ja kein Geheimnis, dass ich einen weiteren Zeitraum vorgeschlagen habe. Warum? Auch das ist wieder eine Debatte, die zeigt, dass wir auf dem Weg zur Erfüllung der Klimaziele einige Brücken brauchen. Eine Brücke ist der für mich modernste fossile Verbrenner, den ich später mit einem alternativen Kraftstoff betreiben kann - aber er bleibt Verbrenner. Da hat das Thema neue Kraftstoffe ein erhebliches Potenzial. Ich habe immer gesagt, dass ich aus Gründen der Planungssicherheit einen weiteren Sprung machen möchte. Wir brauchen die Fortsetzung der Mautbefreiung. Bio-LNG ist aber durchaus umstritten, Stichwort Monokultur und Überdüngung. Andreas Scheuer: Mir geht es um den Grundsatz: Wir brauchen eine Brückentechnologie. Das ist nicht nur eine Preis-, sondern auch eine Volumendebatte. Gehen wir einen Schritt weiter zur E-Mobilität, wo Sie selbst enorme Investitionen angeschoben haben. Reicht das aktuelle Paket? Andreas Scheuer: Das ist immer das Hase-Igel-Prinzip. Zum einen waren wir gut dran mit der Förderprämie für den Ausbau der Ladeinfrastruktur. Damit stieg die Produktpalette exponentiell. Hypererfolgreich ist unser Wallboxen-Programm. Seit dem 24. November 2020 wurden über 730.000 Wallboxen beantragt. Und jetzt haben wir es erst kürzlich noch einmal aufgestockt. Der private Sektor ist damit abgedeckt. Dazu haben wir zwei weitere Förderprogramme, wie für die Ladeinfrastruktur vor Ort, also für Lademöglichkeiten beim Rathaus, beim Sportstadion oder am Restaurant. Genauso wie die gewerbliche Ladeinfrastruktur vor dem Verwaltungsgebäude, wo sowohl der Außendienstmitarbeiter, die Belegschaft, aber auch der Kunde laden können. Der dritte Baustein ist die bundesweite Schnellladeinfrastruktur - wo wir in Deutschland ja noch deutlich ambitionierter sind als das Paket "Fit for 55". Dort heißt es nämlich nur: alle 60 Kilometer ein Ladepunkt. Wir haben alle 15 bis 20 Kilometer ausgeschrieben. Glauben Sie persönlich an den batterieelektrischen Fernverkehrs-Lkw? Andreas Scheuer: Das werden wir sehen. Aktuell sorgt ja ein Hersteller für Pkw mit einem neuen Werk für Furore. Dort soll die Logistik über batterieelektrische Lkw ablaufen. Stichwort CO2-Neutralität: Warum wird Tempo 80 für Lkw in Deutschland nicht mehr kontrolliert? 90 km/h zu fahren, bedeutet bis zu 14 Prozent höheren CO2-Ausstoß. Andreas Scheuer: Mit jährlich über 500.000 Lkw- und Kraftomnibuskontrollen leistet der Straßenkontrolldienst des Bundesamtes für Güterverkehr einen wichtigen Beitrag zur Erhöhung der Verkehrssicherheit und des Umweltschutzes. Ist es denn für einen Verkehrsminister nicht extrem schwierig, grundsätzlich unvereinbare Gegensätze, wie etwa beim Thema Tempolimit oder auch Verbrenner-Fans vs. teils recht militante Fridays for Future-Anhänger, unter einen Hut zu bringen? Andreas Scheuer: Im Logistikgewerbe passiert ja viel und an der Stelle müssen wir auch diejenigen mitnehmen, die noch nicht so offen sind für Digitalisierung und andere Themen. Wir befinden uns im massivsten Umbruch der Mobilität der vergangenen Jahrzehnte. Da müssen wir Antworten liefern. Entweder man ist dabei oder du wirst abgehängt. Meine Strategie war immer das Gespräch. Ich bin überzeugt, dass man nur im Miteinander unseren Raum in der Mobilität und Logistik aufteilen kann. Ich habe kürzlich eine sehr sachliche, fundierte Mailanfrage von Fridays for Future bekommen, ob ich für ein Gespräch zur Verfügung stehe. Und natürlich mache ich das. Ich würde mich nicht mit Baumbesetzern in den Dialog begeben. Denn das ist ein Stil, den ich nicht für richtig halte. Aber eine vernünftige Diskussion mit Fridays for Future, da spricht nichts dagegen, ganz im Gegenteil. Tut denn das Logistikgewerbe genug, um im Dialog zu bleiben? Andreas Scheuer: Ich mache seit 2005 Verkehrspolitik und arbeite als ehemaliger Beauftragter der Bundesregierung für Verkehr und Logistik schon lange eng mit dem Gewerbe zusammen. Ich glaube, es geht nicht nur um den Dialog zwischen Wirtschaft, Politik und Branche. Wir müssen auch in Bezug auf Fachkräftemangel, in Bezug auf moderne Logistik besser kommunizieren, was Deutschland als Logistikweltmeister, als Exportweltmeister leistet - wie Deutschland auch gesehen wird im internationalen Vergleich. Da müssen wir nach außen mehr erklären. Das wissen viel zu wenige Menschen. Ich war vor vielen Jahren als Staatssekretär in China und habe für die deutsche Green Logistics geworben. Wir haben zwischen 2009 und 2013 Delegationsreisen mit der Logistik Alliance Germany zum Thema gemacht. Da haben wir chinesische Häfen besucht, wo man - ich übertreibe jetzt ein wenig - wegen der schlechten Luft die Hand vor Augen nicht mehr gesehen hat. Da hat sich viel bewegt. Aber darüber müssen wir auch reden. Es gibt so viele Themen, mit denen deutsche Logistik punkten kann: Blockchain-Technologie, KI, Schwarmintelligenz der Paletten und Drohnen, Silicon Economy, digitaler Frachtbrief. Da müssen wir einen Schritt vor den anderen sein, wie auch in der Automobilwirtschaft. Wir haben jetzt viel über Straßentransport gesprochen. Welche Vorstellung haben Sie vom künftigen modalen Split? Andreas Scheuer: Bis 2030 25 Prozent Schiene und zwölf Prozent Schiff. Deswegen auch das Modernisierungsprogramm Binnenschiff, das wir jetzt nach 13 Monaten Notifizierung bei der EU durchbekommen haben. Leider waren das 13 Monate, in denen keine Förderung an den Start gehen konnte - aber gut. Auch das ist bezeichnend. Wir modernisieren 40 Jahre alte Binnenschiffe mit innovativen Motoren und einer eventuell optimierten Kraftstoffbeimischung oder dann später mit modernen, alternativen Kraftstoffen. Bei der Infrastruktur müssen wir noch einiges tun, Stichwort Klimaanpassung und Rhein. Da haben wir Pläne, die wir umsetzen wollen. Bei der Schieneninfrastruktur haben wir in den vergangenen Jahren deutliche Verbesserungen erzielt, auch durch eine veränderte Strategie im Vorstand der Deutschen Bahn. Jetzt müssen wir sehen, dass durch Deutschlandtakt und viele andere Maßnahmen die Schiene auch im grenzüberschreitenden Verkehr noch interessanter wird. Dazu brauchen wir Schnittstellen und das ist das nächste Thema, das ich verstärkt im Blick habe. Wie bekomme ich die Güter von einem Verkehrsmittel auf das andere? Und das so zeit- und kostenrelevant, dass es sich rechnet. Wir haben eigentlich alles getan, den letzten Güterwagen auf leise Bremssohlen umgerüstet, viele neue Masterpläne entwickelt. Auch da ist alles bereitet - mit Blick auf die kommende Legislaturperiode. Die digitale Kupplung wäre ein weiterer, riesiger Baustein mit einem Volumen von acht Milliarden Euro. Aber dass wir unterschiedliche Verladesysteme in Europa haben, hindert uns an einer schnellen Umsetzung. Wenn jemand mit dem falschen Trailer an die Verladestation kommt, dann kann er nicht auf den Waggon und muss einen riesigen Umweg fahren, weil die Anlage sonst nicht passt - das muss stärker in den Blick genommen werden. Werfen uns die Ereignisse in NRW und Rheinland-Pfalz zurück im Bemühen um eine Bahnertüchtigung? Andreas Scheuer: Das ist eine absolute Katastrophe mit unfassbarem menschlichem Leid. Es wäre aber verfrüht, jetzt schon zu sagen, welche Auswirkungen das auf die Rheinschiene oder die dritte Güterverkehrsstrecke hat. Das kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nicht sagen. Mein Ziel ist auf jeden Fall, wenn wir schon Strecken wiederaufbauen, dann müssen wir sie modernisiert aufbauen, also die Chance nutzen, das Netz stärker zu digitalisieren. Grundsätzlich lassen wir unsere bisherigen Erkenntnisse, etwa, dass wir wegen des Klimawandels demnächst höhere Schleusentore brauchen, in neue Projekte einfließen. Wir wissen, dass wir höhere Kaianlagen benötigen. Wir wissen, dass wir Schienen weiß lackieren müssen, damit sie sich bei Hitze weniger verbiegen, oder dass Asphalt anders aussehen muss, damit er keine Blasen wirft. All das werden wir bei künftigen Projekten berücksichtigen. Mehr zum Thema finden Sie unter #ScheuerAndreas www.verkehrsrundschau-plus.de/hashtag In Kürze Deutschland ist (noch) Logistikweltmeister. Damit dies so bleibt, muss mehr passieren im Bereich Dekarbonisierung, Verknüpfung der Verkehrsträger, wie auch bei der Durchsetzung deutscher Interessen in Brüssel. Andreas Scheuer will die "roten Linien" halten und gibt sich kämpferisch. Vita Andreas Scheuer, geboren am 26. September 1974 in Passau, schloss 2001 sein Magisterstudium der Politikwissenschaft, Wirtschaft und Soziologie an der Uni Passau ab. 2004: Promotion an der Karlsuni Prag. Seit 1994 ist er Mitglied der CSU und der Jungen Union und seit 2002 Mitglied des deutschen Bundestages. Von 2009 bis 2013 war er parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung sowie Koordinator der Bundesregierung für Güterverkehr und Logistik. Seit März 2018 ist er Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur.

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