Besteht nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts für Unternehmen mit bis zu 20 Mitarbeitern Handlungsbedarf? Was können diese tun, um ihre Nachfolge jetzt bestmöglich zu regeln?
Elke Volland: Momentan ist die begünstigte Übertragung von Betriebsvermögen noch möglich. Daher raten wir kleineren Unternehmen, bei denen eine Nachfolge ansteht, jetzt zügig zu übertragen, weil hier mit einer Verschärfung zu rechnen ist. Sie werden künftig unter die Lohnsummenklausel fallen. Sie sollten deshalb jetzt einen Schenkungsvertrag machen und Unternehmensanteile auf den Nachfolger übertragen. Das geht in der Regel mit einer Änderung des Gesellschaftervertrags einher. Übertragungen sollten jedoch unbedingt mit einer Widerrufsklausel versehen werden für den Fall, dass die Begünstigung durch die gesetzliche Neuregelung rückwirkend entfällt. Einen Schenkungsvertrag nur vorzubereiten und in die Schublade zu legen, halte ich dagegen für riskant, da der Gesetzgeber zügig in das Gesetzgebungsverfahren einsteigen wird.
Wie bürokratisch werden sich künftig die Nachweispflichten bezüglich der Lohnsummenklausel gestalten?
Das wird in jedem Fall mehr Aufwand bedeuten. Mit einem Blick in die Gewinn- und Verlustrechnung ist es hier nicht getan, da bei der Lohnsummenermittlung noch bestimmte Abzüge zu machen sind. Kleine Unternehmen werden dann den gleichen Aufwand betreiben müssen wie große. Außerdem gibt es am Ende des fünf- oder siebenjährigen Zeitraums eine Meldepflicht. Allerdings sollten die Unternehmen künftig auch unterjährig ermitteln, ob sie die Voraussetzungen erfüllen und noch Luft nach oben haben. Für das Controlling wird man daher ein System aufsetzen müssen.
Wird die neue gesetzliche Regelung rückwirkend gelten?
Eine Rückwirkung auf den 17. Dezember 2014, also den Zeitpunkt der Urteilsverkündung, ist durchaus möglich. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil deutlich gemacht, dass exzessive Ausnutzungen der gegenwärtigen Rechtslage keinen Vertrauensschutz genießen. Eine Rückwirkung würde ich daher nicht generell ausschließen.
Das Interview führte Ina Reinsch, freie Journalistin
Hintergrund:
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe hat im Dezember entschieden, dass das Erbschaftsteuer‑ und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) teilweise verfassungswidrig ist. Es verstoße gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung. Zwar stelle der Schutz von Familienunternehmen und Arbeitsplätzen grundsätzlich einen legitimen Sachgrund dar, Betriebe teilweise oder vollständig von der Steuer zu befreien. Art und Weise sowie Ausmaß der Steuerbefreiung seien aber unzulässig.
Als unverhältnismäßig beurteilen die Richter die Freistellung von Betrieben mit bis zu 20 Beschäftigten von der Einhaltung einer Mindestlohnsumme. Zudem eröffne das Gesetz den Unternehmen zahlreiche „Gestaltungsmöglichkeiten“ um die Steuerpflicht zu umgehen.
Die 2009 reformierte Erbschaftsteuer hatte das Ziel, Familienunternehmen beim Übergang des Betriebs auf die Erben nicht übermäßig zu belasten. Wenn sie beim Betriebsübergang das Lohnniveau der Firma hielten, bekamen sie einen Steuerrabatt. In manchen Fällen mussten die Erben gar nichts bezahlen. Grund für die staatliche Privilegierung war, dass Arbeitsplätze auch nach dem Übergang sichergestellt werden sollen.
Bis 30. Juni 2016 muss ein neues Gesetz her
Die bisherigen Erbschaftssteuer-Regeln bleiben vorerst in Kraft. Der Gesetzgeber muss bis zum 30. Juni 2016 eine entsprechende Reform verabschieden. Kleinere und mittlere Familienunternehmen dürfen dem Urteil zufolge auch künftig vollständig entlastet werden, um ihre Existenz und Arbeitsplätze nicht zu gefährden. Firmen mit bis zu 20 Mitarbeitern werden aber künftig nachweisen müssen, dass sie die Jobs erhalten. Bisher sind sie von dieser Pflicht befreit. (ag)