Brüssel.
Es ist Realität, dass immer weniger Güter in Europa auf der Schiene transportiert werden. Die EU hatte deswegen 2011 das Ziel verkündet, eine Trendwende herbeizuführen und den Anteil der Schiene am Güterverkehr bis 2030 auf 30 Prozent anzuheben. Doch die Bahn gerät immer mehr aufs Abstellgleis: Ihr Anteil ging weiter zurück auf weniger als 18 Prozent. Der Europäische Rechnungshof ist jetzt zu dem Schluss gekommen, dass dafür politische Fehlentscheidungen mit verantwortlich sind. Ein Bericht der höchsten EU-Rechnungsprüfer kommt zu dem Ergebnis, dass die Verkehrspolitik oft mit der linken Hand einreißt, was sie mit der rechten hingestellt hat.
Monopolisten bestimmen den Markt
Von 2007 bis 2014 gab die EU 28 Milliarden Euro für den Ausbau der Schienennetze in den Mitgliedstaaten aus. Viele Länder, darunter auch Deutschland, gaben im gleichen Zeitraum aber noch mehr Geld für den Ausbau ihres Straßennetzes aus. 2004 einigten sich die Mitgliedstaaten darauf, ihren Güterverkehr für den Wettbewerb zu öffnen. Neue Anbieter sollten neue Transportleistungen anbieten, den Schienentransport flexibler und billiger machen. Zehn Jahre später ist davon nur wenig zu spüren. In vielen Mitgliedstaaten bleiben die Staatsbahnen fast der alleinige Anbieter. In den Ländern, die der Rechnungshof genauer unter die Lupe genommen hat (Deutschland, Frankreich, Polen, Spanien und Tschechien), beträgt ihr Marktanteil zwischen zwei Drittel und vier Fünftel.
Wenn es darum geht, potenziellen Konkurrenten das Leben schwer zu machen, sind die ehemaligen Monopolisten erfinderisch. Die polnische Bahn etwa hat das Grenzübergangs-Terminal auf der wichtigsten Güterstrecke nach Westen nahezu komplett ausgebucht. Wettbewerber müssen deswegen lange Umwege in Kauf nehmen.
Bei der Zuteilung von Verkehrsrechten auf dem Schienennetz kommen laut Rechnungshof Methoden aus dem Mittelalter zum Einsatz. Wer einen Güterzug betreiben will, muss die Strecke ein Jahr vorher buchen. Wenn es zu Störungen kommt, hat der Personenverkehr Vorrang – der Güterzug muss warten. Die meisten Verlader können so lange im Voraus nicht planen und benötigen eine höhere Zuverlässigkeit.
Die Regulierungsbehörden, sagt Rechnungshof-Mitglied Ladislav Balko, seien vielfach nicht in der Lage, die Staatsbahn genau genug zu kontrollieren. In Tschechien kümmert sich nur ein Mitarbeiter um 9570 Kilometer Schienennetz, in Spanien sind es 4658, in Polen 1136, in Deutschland 826 und in Frankreich 813. Das sei nicht genug, um alle Strategien zu durchkreuzen, mit denen die Netzbetreiber ihre eigenen Züge zulasten der Konkurrenz bevorzugen.
Weichen zugunsten der Straße
Hinzu komme, dass die Schiene von der Politik zwar gerne als umweltfreundlich gefeiert wird, die politischen Weichen aber zugunsten der Straße gestellt seien. Der Rechnungshof weise zu Recht darauf hin, sagt der Vorsitzende des Verkehrsausschusses im Europäischen Parlament, Michael Cramer (Grüne), dass die Bahn insgesamt gegenüber der Straße benachteiligt werde: „So lange nur ein Prozent der Straße, aber hundert Prozent der Schienenstrecken bemautet sind, hat die umweltfreundliche Bahn gegenüber der klimaschädlichen Straße keine Chance.“
Ladislav Balko will die Bahn allerdings nicht aus der eigenen Verantwortung entlassen. Mehr Geld für den Ausbau der Schienennetze sei zwar notwendig, sagt der Rechnungsprüfer, es werde aber nur etwas nützen, wenn auch alle anderen angesprochenen Probleme gelöst würden. „Die Kommission und die Mitgliedstaaten müssen den Eisenbahn- und den Infrastrukturmanagern helfen, die Zuverlässigkeit der Bahn zu verbessern, die Frequenz der Züge und die Flexibilität des Angebotes zu erhöhen, die Transportzeiten zu verkürzen und günstigere Preise zu kalkulieren“ (tw)
(tw)